Im Zentrum der Meisner-Technik und ihrem Training steht das wirkliche Handeln unter vorgestellten Umständen. Ehrliches Verhalten und Gefühle entstehen als logische Folgerung des wirkliche Tuns aus sich heraus. Wir verstehen sie als Inspiration und verhelfen Schauspieler:innen durch ihr Training eine größere Freiheit, Tiefe, Vertrauen und Leichtigkeit im Spiel zu finden.
Die meisten verstehen unter der Meisner-Technik lediglich ihre ersten Übungen, die allgemein im Umlauf sind: Die Repetition und evtl. noch die „unabhängigen Aktivitäten” und sind sich gar nicht im Klaren darüber, wie umfassend und tiefgreifend diese Technik ist, die Stanford Meisner aus Stanislawskis System heraus entwickelt hat. Ihre Übungen einzeln und für sich können ihre Wirksamkeit allerdings nicht voll entfalten, wenn sie nicht in Zusammenhang gesetzt und trainiert werden. Erst die Vorbereitung auf Ziele, Bedeutungen, Beziehungen, Aktionen, das wirkliche Tun unter vorgestellten Umständen und all das, was uns auch im Alltag fordert und antreibt, verdichtet sich für die Schauspielkunst.
André über die Meisner Technik
Als ich 2008 zu William Esper ins Studio kam, hielt ich mich schon für einen voll ausgebildeten Schauspieler. Mir war so gut wie jede gängige Technik bekannt, ich hatte mich gründlich mit Stanislawski auseinandergesetzt - oder vielmehr mit dem, was die unterschiedlichen Lehrer darunter verstanden, ausgiebig nach Tschechow trainiert und auch schon selbst unterrichtet. Ich hatte zahlreiche Workshops besucht u.a. mit Keith Johnstone, Yoshi Oida, mich einige Zeit der „Method" ausgesetzt, versucht mich in Grotowski zu finden und alles an Literatur verschlungen, was es zu dem Thema Schauspielen gab, hatte immer wieder versucht Peter Brooks leeren Raum zu füllen und sein offenes Geheimnis zu durchdringen. Und obwohl ich soviel tat um das Wesen der Schauspielkunst zu begreifen, wurde ich doch das Gefühl nie los, dass sowohl meine Vorbereitung als auch mein Spiel mehr oder weniger dem Zufall und der sich hoffentlich einstellenden Inspiration überlassen waren. Es war Stückwerk, im besten Fall eine gute Collage, die mal funktionierte und mal nicht. Das Gefühl der Sicherheit auf einem soliden Fundament zu stehen, auf dem ich mich dann hätte frei bewegen können, ein Handwerk zu beherrschen, mit dem ich mich hätte künstlerisch ausdrücken können, kannte ich nicht. Doch das änderte sich. In den zwei Jahren, die ich mit William Esper studierte und mich intensiv mit der Meisner Technik auseinandersetzte und trainierte, trainierte, trainierte , erlebte ich schließlich eine künstlerische Befreiung: Endlich Leichtigkeit statt bemühtem Spiel. Ich hatte ein Handwerk erlernt, das es mir erlaubte im Spiel frei zu sein und mich in Spielfreude zu entfalten.
Ich lernte mich gründlich vorzubereiten und diese Vorbereitung dann loszulassen, um im Moment – innerhalb der vorgestellten Umstände - mit meinen Partner:innen zu arbeiten und zu spielen. Impulse anzunehmen und zu reagieren, immer im Kontext, d.h. zu verinnerlichen, wo ich herkommen (emotionale Vorbereitung), zu wissen, was ich will (Ziel), mir der Bedeutungen und ihrer Substitute bewusst, zu wissen, wie ich mein Ziel erreichen will (Aktionen), mich von Wechseln (beats) überraschen zu lassen, obwohl ich sie vorbereitet hatte, Charaktere zu entwickeln, die wahrhaft sind ... und noch einiges mehr, das mir das Vertrauen in mein Handwerk und meine Fähigkeit mich durchlässig zu verhalten, gab. Mir wurde klar, dass Sanford Meisner ein Training entwickelt hatte, das Schauspieler:innen künstlerisch unabhängig machte, auf der Grundlage, den Moment, die Umstände und das Verhalten der andern für sich zu nutzen. Das Wissen um die Werkzeuge ist eine Sache, sie zu beherrschen so dass sie zur zweiten Natur werden, eine andere. Und die unabhängigen Aktivitäten trainieren genau das: Die Werkzeuge zu verinnerlichen, so dass ich ein Gefühl für meine Wahrhaftigkeit entwickle und nicht mehr so tun muss als ob, sondern wirklich erlebe.
Zuerst wird die Fähigkeit zu reagieren, durchlässig zu werden und verletzlich zu sein, trainiert und erst dann nimmt man die unterschiedlichen Elemente Schritt für Schritt dazu, um in der Fähigkeit im Moment zu sein verankert zu bleiben. Letztendlich bestimmt aber der Kontext (Ziele, Beziehungen, Bedeutungen etc.) mein Verhalten. Die Qualität meines Spiels hängt dann sowohl von der Tiefe meiner Vorbereitung als auch meiner Fähigkeit im Moment offen zu sein ab. Und hier komme ich abschließend allerdings um einen entscheidenden Aspekt nicht herum, nämlich den deutschen Begriff des „Schauspielens“. Ein nicht zu gering einzuschätzender Anteil an der gewonnenen Freiheit ging bei mir allein auf ein neu verinnerlichtes Verständnis dieses Begriffs zurück: Im Englischen heißt „to act“, also einfach „handeln, tun“ und „actor“ ist somit der Handelnde, wohingegen das deutsche „schauspielen“ und „Schauspieler:in“ nach meinem Erachten völlig in die Irre führt. Denn letztendlich bedeutet dies: So tun also ob bzw. zur Schau stellen. Ein enormer Irrtum, der mich immer wieder irritiert, wenn mich „Laien“ fragen ob ich als Coach Schauspieler:innen zeige oder vormache wie man Gefühle darstellt, einmal ganz davon abgesehen, dass „Schauspielerei“ auch im Alltag abwertend verwendet wird, um zu sagen, dass jemand lügt, schwindelt oder etwas vorgaukelt.
Das wunderbare an dieser Technik ist zudem, das sie Raum lässt andere Techniken mit einzubeziehen. Es ist keine ausschließende Technik, sondern gibt ein solides Training, das alle wesentlichen Elemente die es für überzeugendes Spiel braucht systematisch trainiert. Tschechow lässt sich ebenso einbauen wie Johnstone, sense memory oder Lucid Body, um nur einige zu nennen die auch bei uns im Studio mittrainiert werden. Und ebenso bestimmt jede:r Schauspieler:in für sich selbst wie privat er/sie seine/ihre Arbeit macht, persönlich muss es natürlich immer sein.
Im Zentrum der Meisner-Technik und ihrem Training steht also das wirkliche Handeln unter vorgestellten Umständen. Ehrliches Verhalten und Gefühle entstehen als logische Folgerung des wirkliche Tuns aus sich heraus. Ich hoffe, das sich viele inspirieren lassen, diese Technik mit uns zu trainieren und dadurch eine größere Freiheit, Tiefe, Vertrauen und Leichtigkeit im Spiel zu finden. Ich unterrichte die Meisner Technik nun seit mehreren Jahren in vollen Umfang und ganzer Tiefe und bin immer wieder beeindruckt wie sie die oft verborgenen, individuellen Stärken und künstlerischen Fähigkeiten ans Licht bringt und die Persönlichkeit eines jeden Menschen fördern kann. Sanford Meisner hat für viele erfolgreiche Schauspieler:innen und Coaches eine zuverlässige, die Kreativität befreiende Grundlage geschaffen.